U-Bahnhof Schadowstraße - Ursula Damm "Turnstile"

Veröffentlicht am 08.07.2024

                Architektur als Bühne digitaler Kunst
 
In einem Menschenstrom bewegen wir uns durch die Passagen der Schadowstraße. Entlang unzähliger Geschäfte überqueren wir die kreuzenden Stadtbahngleise direkt hinter dem Peek&Cloppenburg Gebäude und laufen, auf eine breite Öffnung im Pflaster zu. Über eine Treppenanlage aus 3 Fahrtreppen und einer Festtreppe werden wir in einen lichtdurchfluteten Zwischenraum geführt. Royalblaue Glasfliesen begleiten uns auf dem Weg in die nächste Ebene, unterbrochen von vertikalen weißen Streifen auf deren Oberfläche sich Muster aus geometrischen Formen spiegeln. Betrachten wir die Muster näher, lassen sich Fragmente eines Luftbildes, das von den kreuzenden Linien und Formen überlagert wird, erkennen. Im Stationsraum angekommen, blicken wir auf eine ca. 8 x 4,5 Meter große Projektionsfläche, welche sich auf der Stirnseite über dem Tunnel befindet. Ein sich ständig veränderndes Bild aus Vektoren, Kreisen und Polygonen macht sich breit und überdeckt die anderen Bereiche. Immer wieder ziehen dunkle Schatten durch das Bild und dann wird es klar: Der hintergründige Teil des Bildes ist eine Aufnahme des Platzes an der Oberfläche, auf dem sich die Menschen durch die Stadt bewegen. Doch in welchem Zusammenhang stehen die Aufnahmen zu den überlagernden grafischen Mustern? Einen Hinweis geben uns die Luftbildfragmente auf weißem Hintergrund. 
 
        Die U-Bahn-Station als Knotenpunkt visualisiert
 
Mit dem englischen Titel „Turnstile“, ins Deutsche übersetzt „Drehkreuz“, ordnet Ursula Damm die Lage und Ausrichtung des Stationskörpers im Stadtraum ein. Als Ergänzung eines schon bestehenden Knotenpunkts erhöht die Ost-Westverbindung der Wehrhahn-Linie die Frequenz der Menschenströme und akzentuiert damit die Bedeutung des Areals Kö-Bogen/Schadowstraße. Der Kern des von Ursula Damm entwickelten künstlerischen Konzepts ist die Analyse von Menschenströmen, Verkehrsachsen und Bewegungen sowie deren Einordnung in die städtische Architektur. Bewegungsachsen werden zu sich schneidenden Vektoren, welche wiederum Flächen umschließen, die untereinander in Bezug gesetzt werden können. Anhand eines abstrakten Clusters aus Polygonen offenbaren sich Energiezentren und ermöglichen Rückschlüsse auf die Stadtentwicklung. Projiziert man den Cluster auf ein Luftbild, wird die abstrakte Analyse rückgebunden und gibt den identifizierten Zentren einen Bezug.

Luftraum U-Bahnhof Schadowstraße
Stationsraum Gleise Bahnhof Schadowstr.


        Der Mensch im Kontext städtischer Architektur
 
In einem weiteren Schritt wurde anhand der beschriebenen Analysemethode ein Computerprogramm entwickelt, das einen kleinen Bereich der Schadowstraße betrachtet und die Analyse in Echtzeit in einer interaktiven Videoinstallation visualisiert. Die statische Struktur des Stadtraums wird durch die Bewegungsachsen der Passanten ersetzt und präsentiert eine sich stetig verändernde Abbildung eines Strömungsverhalten. Die Darstellung zeigt, auf welchen Bewegungsachsen sich vermehrt Passanten bewegen in Bezug auf die städtische Bebauung. Beim Betrachten der Installation in der Zeit, bis zur Einfahrt der nächsten Bahn, stellt sich die Frage, in welchem Kontext der Mensch zur Architektur der Stadt steht und ob sein Handeln, seine Bewegung, sich auf diese Architektur auswirkt. Durch das Suchen nach Verbindungen im Bild und den Bezug beider Ebenen (Grafik und Livebild) wird eine Auseinandersetzung angestoßen, in welcher das Verhältnis von Mensch und Stadtentwicklung betrachtet wird. 
 
        Bahnhofsarchitektur im Fluss der Stadt
 
Mit Blick auf die Bahnhofsarchitektur lassen sich durchaus Zusammenhänge zum Strömungsverhalten der Passanten und den Verkehrsachsen erkennen. Der Stationsraum verläuft in der Tiefebene unterhalb der Schadowstraße und weist als einziger Bahnhof zwei direkte Zugänge zum oberirdischen Stadtraum auf. Durch die Lage direkt unter der Straße gleicht sich die Bahnhofsarchitektur dem Fließverhalten der Passanten an und schafft eine zusätzliche Funktion als Durchgangsraum. Mit Ausnahme der Verteilerebenen, welche die Abwärtsbewegung kurz unterbrechen, wird die Bewegungsrichtung vom Eintrittspunkt bis zum Austrittspunkt nicht unterbrochen. Durch die breite Öffnung des Eintrittsbereichs, der sich über 4 Treppen erstreckt, wird eine direkte Verbindung zwischen Stationsraum und Stadtraum hergestellt. Eine breite Glasfront, welche von zwei gläsernen Fahrstühlen eingerahmt wird, eröffnet eine direkte Sichtbeziehung zu den Gleisen im Stationsraum. Durch ein großzügiges Oberlicht, das sich über dem Gleisbett im Stadtraum befindet, kann warmes Tageslicht bis in die Tiefebene dringen. Der Transitbereich wird als Erweiterung in die bestehenden Bewegungsachsen integriert und stützt die These, dass sich Bebauung und Nutzung des Stadtraums beeinflussen.


        Der Mensch im Zentrum des urbanen Raums
 
Durch den künstlerischen Eingriff Ursula Damms wirft der U-Bahnhof Schadowstraße die Frage nach der Rolle des Individuums Mensch im urbanen Raum auf und beantwortet diese im Moment seines Daseins. Der Fahrgast wird mit der Illustration eines hoch komplexen Computerprogramms konfrontiert, welches er nicht umfassend verstehen kann. Durch die Beobachtung der Installation erkennt er jedoch die menschliche Beteiligung innerhalb des Konstrukts und sieht sich als Teil der Installation. Infolge der ganzheitlichen Gestaltung des Stationsraums verbinden sich Architektur und Kunst und werden zu einem.
 
        Ein unsichtbares Konzept sichtbar machen
 
Die Besonderheit der künstlerischen Installation im U-Bahnhof Schadowstraße ist, dass das zugrundeliegende Konzept zwar offensichtlich, jedoch nicht auf den ersten Blick verständlich ist. Zugegeben: Das Werk Ursula Damms funktioniert auch ohne genauere Kenntnis der zugrundeliegenden Idee. Da es sich um eine Videoinstallation handelt ist es jedoch fotografisch nur schwer abzubilden. Aus der Perspektive als Architekturfotograf habe ich mich daher stärker auf die Architektur des Stationsraums konzentriert. Bei der Wahl der Sichtachsen habe ich aber darauf geachtet die sichtbaren grafischen Elemente, welche sich auf der Auskleidung der Innenwände befinden mit einzubeziehen. Ebenso wichtig war es die große Leinwand mit der Videoinstallation darzustellen und einen Blick auf deren abgebildeten Inhalt zu ermöglichen. So kann der Betrachter der Bilder den Inhalt der Installation erahnen. Weitere Bilder finden Sie auf der Projektseite „U-Bahnhof Schadowstraße“.

Detail Wandgestaltung Schadowstraße