U-Bahnhof Benrather Straße - Thomas Stricker "Himmel oben, Himmel unten"
Veröffentlicht am 13.08.2024
Architektur fernab von Raum und Zeit
Mit der Rolltreppe bewegen wir uns langsam hinab zwischen der Häuserschlucht Benrather Straße. Zu unserer Seite findet sich eine noppenähnliche Struktur aus glänzendem Edelstahl. Sie erinnert an die Blindenschrift, welche durch ihr Relief erhabenen Punktmustern einen Buchstaben zuordnet. Steht an der Wand eine für uns nicht dechiffrierbare Nachricht geschrieben? Nach einem Drittel der Treppe beginnt sich der Stationsraum zu öffnen. Auf der Verteilerebene angekommen, blicken wir durch einen gläsernen Kasten in den lang gezogenen Stationsraum. Unter dem Kasten sehen wir direkt auf die Gleise. Die Wände sind flächig vom genoppten Edelstahl bedeckt und erzeugen eine kühle und sterile Atmosphäre. Dann sehen wir plötzlich im Augenwinkel einen riesigen Feuerball an uns vorbeiziehen.
Eine U-Bahn-Station wird zur Zeitkapsel
In seinem Werk „Himmel oben, Himmel unten“ nimmt Thomas Stricker uns mit auf eine Reise in einen anderen Kosmos. Er spielt mit unserer Erwartung einer U-Bahn-Station und kehrt diese um in eine Fantasiewelt, wie wir sie sonst nur aus dem Fernsehen kennen. Das künstlerische Konzept jedoch lediglich auf das Spiel der Umkehr der Relationen zu beschränken, wäre ein Irrtum. Die Bedeutung wiegt weit schwerer als das Vertauschen einer fest definierten Norm. Mit der Umkehr von Oben und Unten kehrt sich schlussfolgernd auch das restliche Zeit-Raum-Gefüge um. Der Raum unter der Erde wird schwerelos und die Zeit vergeht in einem anderen Rhythmus. „Himmel oben, Himmel unten“ schafft eine Zeitkapsel, in welcher der Fahrgast dem Puls der Stadt entfliehen kann. Er befindet sich nach dem Herabsteigen in die Tiefe an einem Ort, fernab seiner Welt, in der er sich Sekunden zuvor befand. Er ist nun in einem Raum, in dem keine Zeit definiert ist, in dem er den Alltag ausblenden kann. Der Alltag liegt in weiter Ferne auf der Erde, die ab und zu über die Monitore gleich Fenstern innerhalb der Wände vorbeizieht.
Architektur als Leinwand
Durch die künstlerische Intervention von Thomas Stricker verwandelt sich der ins Erdreich geschnittene Raum in ein Raumschiff, das sich in einer Schleife durch unser Sonnensystem bewegt. Maßgeblich für diese Illusion ist dabei aber die Architektur, die im intensiven Austausch mit den Darmstädter Planern Netzwerkarchitekten erarbeitet wurde. Erst durch die futuristische Linienführung der Bauelemente und den zentralen Luftraum über den Bahngleisen wird die Vision des Raumschiffes Wirklichkeit. In der Mitte der Verteilerebene steht der Fahrgast auf der Kommandobrücke und hat einen Überblick über die unter ihm ein- und ausfahrenden Züge. Schaut er sich um, so überblickt er den gesamten Raum und kann die Planeten und Sterne an sich vorbeiziehen sehen. Ermöglicht wird diese Raumwahrnehmung durch die großzügigen Glasflächen, die auch eine direkte Verbindung zwischen Erdoberfläche und der Fahrebene herstellen. Der parallel zur Treppe verlaufende keilförmige Luftraum erstreckt sich bis zu den Gleisen und reduziert die Trennung funktionaler Ebenen auf ein Minimum. Das Resultat der offenen Gestaltung ist ein Gefühl von Freiheit und Schwerelosigkeit. So wie wir es von einer Raumstation erwarten.
Eine Symbiose aus Kunst und Architektur
Durch die sterile, matt glänzende Auskleidung der Station aus genopptem Edelstahl trennt sich der Raum konsequent vom umliegenden Erdreich ab und eliminiert das Bewusstsein des unterirdischen Daseins. In einer Einheit aus Architektur und künstlerischer Installation wird ein Ort erschaffen, dessen Existenz unmöglich scheint. In einer eng bebauten Stadt öffnet sich plötzlich ein Raum von Unendlichkeit und stoppt die Zeit für die Dauer des Verweilens. Der Stationsraum Benrather Straße ist damit nicht nur eine ästhetische Raumkreation, sondern auch ein Imaginationsraum für täglich zehntausende Pendler.
Architekturfotografie zwischen Zeit und Raum
In meiner Aufgabe als Architekturfotograf hat mich das Fotografieren dieses U-Bahnhofs stark gefordert. Durch die metallische Auskleidung des Stationsraum gehen Kunstwerk und Architektur eine Symbiose ein, welche es fast unmöglich macht, sie durch die Wahl von Perspektive oder Bildausschnitt voneinander zu trennen. Da die Architektur den Imaginationsraum für das Raumschiff schafft, habe ich den Raum als Einheit dokumentiert. In meinen Bildern zeige ich die wichtigen architektonischen Elemente wie Treppenaufgänge, Lufträume oder Fahrstuhlschächte. Gleichzeitig wird durch die Wahl von orthogonalen Blickwinkeln die Vision des künstlerischen Konzepts hervorgehoben, sowie die Scharfkantigkeit der Architektur unterstützt. Auf der Projektseite "U-Bahnhof Benrather Straße" können sie sich selbst ein Bild machen.